Zu den Anfängen des amtlichen Naturschutzes in Tirol

Patrick Kupper

Bereits 1903/04, also noch in der Zeit des Kaiserreichs, wurde in Tirol eine erste systematische Erhebung zum Schutz der Natur durchgeführt. Bis das Land 1923 eine Fachstelle für Naturschutz einrichtete und 1924 ein Naturschutzgesetz erließ, sollten jedoch weitere 20 Jahre vergehen. Woher kam diese frühe Naturschutzbestrebung, was bezweckte sie und was wurde aus ihr? 

Der Naturschutz erreichte die Tiroler Verwaltung im Mai 1903 in Form eines Schreibens aus Wien (Abb. 1). In diesem ersuchte der k. u. k. Kultusminister die Statthalterei, „eine eingehende, zuverlässige Inventarisierung“ der Naturdenkmäler zu veranlassen.1

Abb. 1: Die Anfangszeilen des Schreibens des Ministers für Kultus und Unterricht in Wien an die Statthalterei in Innsbruck vom 2. Mai 1903. Ein solches Schreiben ging an alle Kronländer. Bild: TLA, Statthalterei Innsbruck (STHT), Akten Unterricht, NB 1905, Akten betreffend die Naturdenkmäler, Pos. Nr. 15875.

Die Idee, die diesem Schreiben zugrunde lag, hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine längere Reise hinter sich, die sich aufgrund der überlieferten Quellen gut nachverfolgen lässt. Ihren Ausgang nahm sie 1898 im Preußischen Abgeordnetenhaus, als Wilhelm Wetekamp in einer Rede zum Schutz von Landschaftsformen sowie der Flora und Fauna aufrief. Daraufhin wurde der Leiter des Danziger Museums, Hugo Conwentz, mit der Sache befasst. Conwentz stellte das „Naturdenkmal“ ins konzeptionelle Zentrum seiner Überlegungen, das er geschickt vom Übervater der Naturforschung, Alexander von Humboldt, herleitete und zugleich mit den aktuellen Diskussionen um die Erhaltung historischer Denkmäler verband. Davon bekam der Nordböhmische Excursions-Club Wind, der sich gerade um den Erhalt einer Reihe von Sehenswürdigkeiten bemühte, für welche die Conwentz’sche Kategorie des Naturdenkmals wie geschaffen schien (Abb. 2).

Abb. 2: Der Herrenhausfelsen (Panská skála) bei Steinschönau (Kamenický Šenov) in Nordböhmen auf einer Postkarte von 1903. Er diente als Musterbeispiel für ein Naturdenkmal. Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Panska_Skala_Kamenicky_Senov_1903.gif

Der Excursions-Club ließ wiederum seine Beziehungen zum Politiker Gustav Nowak spielen, der den Bezirk Schluckenau im Böhmischen Landtag und die Landgemeinde Tetschen im Wiener Reichsrat vertrat. In beiden Häusern brachte Nowak 1901 und 1902 eine Reihe von Anträgen ein, bis sich das Kultusministerium schließlich der Sache annahm. Dieses rief zunächst einige Fachleute zusammen, um sodann einen auf den 2. Mai 1903 datierten Erlass zu verfassen und an die Landesverwaltungen auszusenden, so auch an jene von Tirol und Vorarlberg. 

„Zunächst würde es sich darum handeln, einen Überblick über jene Naturdenkmale der Monarchie, die eines besonderen Schutzes wert erscheinen, zu erwerben.“ Dazu solle, so der Kultusminister weiter, neben den Behörden auch die fachwissenschaftlichen Institute und Lehranstalten sowie die „bedeutenderen“ naturwissenschaftlichen und die „angesehensten“ touristischen Vereine beigezogen werden.2 Die Statthalterei in Innsbruck versandte den Erlass dementsprechend in einem Zirkular mit folgender Aufforderung: „Das gesamte Erhebungsmaterial nebst einer übersichtlichen Zusammenstellung der zur Inventarisierung geeigneter Ergebnisse ist sodann bis Ende Jänner 1904 zuverlässig anher vorzulegen.“3 Laut einer im Tiroler Landesarchiv erhaltenen Liste gingen Äußerungen der Universität, des Museums Ferdinandeum, des Grafen von Sarnthein, der Landesforstinspektion und des Alpenvereins sowie 28 Rückmeldungen aus den Bezirken ein. Das gesamte Konvolut wurde sodann ans Kultusministerium geschickt, das dessen Erhalt im März 1905 mit der Bemerkung quittierte, dass die Unterlagen „zum hieramtlichen Gebrauche zurückbehalten werden“.4

„Das Ergebnis dieser Inventarisierung wird einer Bearbeitung unterzogen und der Öffentlichkeit übergeben werden“, hatte der Kultusminister 1903 in seinem Erlass versprochen.5 Jedoch blieben die aus allen Kronländern der Monarchie eingelangten Unterlagen vorerst einmal für viele Jahre liegen. Dazu dürften zwei Faktoren wesentlich beigetragen haben: Zum einen wies das Kultusministerium selbst der Angelegenheit keine Priorität zu. Erst ließ es sich Zeit, die Anträge Nowaks aufzunehmen, und war daraufhin bedacht, die Erwartungen tief zu halten. „Gegenwärtig dürften nur bescheidenere Ziele ins Auge zu fassen sein“, hieß es im Erlass von 1903. Ein besonderer Pflanzenschutz schien dem Minister „wegen des Reichtums der heimischen Flora“ eher nicht vonnöten zu sein. Vorstellen konnte er sich Maßnahmen, um die landschaftliche Schönheit von Gebieten zu bewahren oder um Einzelobjekte wie natur- oder kulturhistorisch interessante Bäume zu schützen. Zudem käme „die Schaffung einzelner nicht zu kleiner Gebiete, in denen die Pflanzenwelt sich selbst überlassen würde und die Entwicklung, welche die Vegetation bei Fehlen jeglichen menschlichen Eingreifens nimmt, beobachtet werden könnte“, in Frage. Solche „Reservationen” könnten auch für die Geologie geschaffen werden – allerdings „nur ganz ausnahmsweise in Rücksicht auf seine Kosten“.6 Für den geringen Stellenwert, welches das Kultusministerium dem Anliegen zumaß, spricht auch, dass es dieses später mitsamt den Akten an das 1908 geschaffene Ministerium für öffentliche Arbeiten abgab. Die Statthalterei in Innsbruck wiederum kam der Aufforderung aus Wien zwar geflissentlich nach, jedoch ohne besondere Eile und ohne darüber hinaus selbst Aktivitäten zu entfalten. 

Zum anderen gab es keine zivilgesellschaftlichen Organisationen, die das Anliegen energisch vorangebracht hätten, noch war klar, in wessen Arbeitsbereich dieser Gegenstand gehörte. In Tirol stand zunächst der Alpenverein der Thematik am nächsten. 1900 hatten Mitglieder des DÖAV einen „Verein zum Schutze und zur Pflege der Alpenpflanzen“ gegründet, in dem Tirol stark vertreten war. Neben der Einrichtung von Alpengärten bemühte sich der Verein auch um einen besseren Schutz gefährdeter Pflanzen und trug dazu bei, dass Tirol 1915 ein Alpenpflanzenschutzgesetz erließ. 1908 gründete sich sodann in Innsbruck ein „Verein für Heimatschutz in Tirol“, der explizit auch den Schutz des Landschaftsbildes und den Erhalt von Naturdenkmälern zu seinen Zwecken zählte. Da sich auch in anderen Gegenden der Monarchie Heimatschutzvereine etablierten, stieg der Heimatschutz in jenen Jahren zum Oberbegriff auf, dem der Naturschutz zugeordnet wurde. 

Doch zurück zu den vom Kultusministerium schubladisierten Akten. 1913 nahm sich das im Vorjahr gegründete Naturschutzkomitee der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft des Materials an. Sie übertrug einzelnen Experten die kritische Durchsicht der Bestände, die sodann das „als brauchbar Erkannte in Zettelkatalogform“ zusammenstellten.7 Für den Faszikel Tirol-Vorarlberg leistete der Innsbrucker Professor Karl Wilhelm von Dalla Torre diese Arbeit, die 1917 zum Abschluss kam. In diesem Jahr wurde in Wien, diesmal mit Unterstützung des Ackerbau-Ministeriums, beim Österreichischen Heimatschutzverband (gegründet 1912) nach preußischem Vorbild eine „Fachstelle für Naturschutz“ eingerichtet und mit Günther Schlesinger (Abb. 3) jener Mann zum Fachreferenten bestellt, der die Entwicklung des Naturschutzes in den kommenden Jahrzehnten prägen sollte.

Abb. 3: Günther Schlesinger (1886–1945) gilt als Begründer und Organisator des Naturschutzes in Österreich. Im Nationalsozialismus wurde dieser unter seiner Führung gleichgeschaltet. Bild: Natur und Land 1949, Nr. 6–7, S. 123, https://www.zobodat.at/pdf/nat-land_1949_6-7_0123-0125.pdf 

Mit Genehmigung des Arbeitsministeriums wurden „sowohl die Akten als auch der von unserer Naturschutzkommission daraus hergestellte Zettelkatalog der Fachstelle für Naturschutz zu inneramtlichem Gebrauch, zunächst zur Abschriftnahme, übergeben“.8 Auch wenn der weitere Verbleib dieser Unterlagen ungeklärt ist, dürften sie so doch noch ihrem Bestimmungszwecke zugeführt worden sein und die in der Ersten Republik beginnenden Unterschutzstellungen mitinformiert haben.


Zum Weiterlesen

  • Giannoni, Karl, Naturschutzbestrebungen in Österreich, in: Schriften des Vereins zur Verbreitung Naturwissenschaftlicher Kenntnisse 58 (1918), S. 27–62.
  • Gepp, Johann (Hrsg.), Österreichs Jahrhundert des Naturschutzes. Naturschutzgeschichte Österreichs unter besonderer Berücksichtigung des Naturschutzbundes: 100 Jahre Naturschutzbund Österreich, Graz 2018.
  • Piňosová, Jana, Inspiration Natur. Naturschutz in den böhmischen Ländern bis 1933, Marburg 2017.
  • Verein zum Schutze und Pflege der Alpenpflanzen (Hrsg.), Bericht des Vereins zum Schutze und zur Pflege der Alpenpflanzen, Nürnberg 1901 ff.

Weblinks


  1. Schreiben des Ministers für Kultur und Unterricht an Statthalterei für Tirol und Vorarlberg vom 2.5.1903, TLA, Statthalterei Innsbruck (STHT), Akten Unterricht, NB 1905, Akten betreffend die Naturdenkmäler, Pos. Nr. 15875. ↩︎
  2. Ebd. ↩︎
  3. Schreiben Statthalterei für Tirol und Vorarlberg an alle Bezirkshauptmannschaften in Tirol und Vorarlberg vom 19.11.1903, TLA, Statthalterei Innsbruck (STHT), Akten Unterricht, NB 1905, Akten betreffend die Naturdenkmäler, Pos. Nr. 15875. ↩︎
  4. Schreiben des Ministeriums für Kultur und Unterricht an Statthalterei für Tirol und Vorarlberg vom 23.3.1905, TLA, Statthalterei Innsbruck (STHT), Akten Unterricht, NB 1905, Akten betreffend die Naturdenkmäler, Pos. Nr. 15875. ↩︎
  5. Schreiben des Ministers für Kultur und Unterricht an Statthalterei für Tirol und Vorarlberg vom 2.5.1903, TLA, Statthalterei Innsbruck (STHT), Akten Unterricht, NB 1905, Akten betreffend die Naturdenkmäler, Pos. Nr. 15875. ↩︎
  6. Ebd. ↩︎
  7. Verhandlungen der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Wien 1917, S. 152. ↩︎
  8. Verhandlungen der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Wien 1918, S. 105. ↩︎

Patrick Kupper ist Professor für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Universität Innsbruck. Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung „Forschungslabor: Geschichte des Naturschutzes in Tirol“ im Sommersemester 2024.


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Patrick Kupper (3. Dezember 2024). Zu den Anfängen des amtlichen Naturschutzes in Tirol. Naturschutzgeschichte(n). Abgerufen am 14. Februar 2025 von https://naturschutz.hypotheses.org/1466


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